Unter dem Leitsymptom „akutes Skrotum“ verbergen sich am häufigsten Hodentorsion bzw. akute Nebenhodenentzündung.
Bei einer Hoden- bzw. Samenstrangtorsion liegt eine Verdrehung des Hodens und Nebenhodens um die Längsachse des Samenstrangs vor (Abbildung 2a).
Die Hodentorsion tritt vorallem im jugendlichen Alter (15. - 25. Lebensjahr) auf. Bei einem „akuten Skrotum“ des Jugendlichen ist in erste Linie an eine Hodentorsion bzw. Hydatidentorsion zu denken (schmales Zeitfenster – 4 bis 6 Stunden!) (Abbildung 2).
Die Differentialdiagnostik insbesondere zur Nebenhodenentzündung ist schwierig. Sichere Befunde sind bei der körperlichen Untersuchung nicht zu erheben.
Folgende Formen der Hodentorsion sind zu unterscheiden (Abbildung 3):
Die intravaginale Torsion ist die häufigste Form und bezeichnet die Verdrehung des Hodens und Nebenhodens innerhalb der Tunica vaginalis. Seltener ist die extravaginale Torsion (vorwiegend im Kindesalter), wobei der Samenstrang sehr hoch mit der Tunica vaginalis, dem Hoden und Nebenhoden torquiert ist. Bei der Torsion des Mesorchiums kommt es zur Verdrehung des Hodens innerhalb dieses Aufhängebandes zwischen Hoden und Nebenhoden. Voraussetzung ist eine Dislokation des Nebenhodens vom Hoden. Die Abbildung 3c zeigt schematisch die Torsion des Mesorchiums. Die Abbildung 4 ein deutlich ausgeprägtes langes Mesorchium, bei fixiertem Nebenhoden.
Die Pathogenese der Hodentorsion ist in Abbildung 5 gezeigt.
Makroskopie: Blutig imbibierter Hoden und Nebenhoden nach Torsion > 12 Stunden.
Hintergrund: Histologie
Eine Hodensackhälfte leicht geschwollen und gerötet, druckempfindlich. Der Hoden etwas hoch stehend (reflektorisch?) (Abbildung 6).
Hoden und Nebenhoden palpatorisch nicht abgrenzbar (erhebliche Druckschmerzhaftigkeit). Diese Symptome können aber auch fehlen, sodass die Torsion unerkannt bleibt.
Das insbesondere von Chirurgen immer wieder angeführte sogenannte Prehnsche Zeichen
Prehnsches ZeichenEin Anheben des Hodens gegen den Inguinalkanal verstärkt bei Hodentorsion die Schmerzsymptomatik: Prehn positiv, bei der Epididymitis nimmt die Schmerzsymptomatik ab: Prehn negativ
Bichler, K.-H., Wechsel, H., Schmidt, A. M., Shen, R.: "Urologische Begutachtung im Arzthaftpflichtverfahren", Lehmanns Media Berlin, 2011
kann als Diagnostikum bei Verdacht auf Hodentorsion nicht verwendet werden, da seine Aussagekraft zu gering und daher für die Diagnostik (aber auch gutachterlich) abzulehnen ist.
Kein pathologischer Urinbefund, die Entzündungsparameter geben oft einen gewissen Hinweis auf entzündliche Veränderungen: BSG: 10-20 mm/h, CRP: 35mg/l (Normalwert < 8 mg/l), Leuko: 9,000.
Zur differentialdiagnostischen Abklärung Torsion/Nebenhodenentzündung dient die Angiodynographie. (Abbildung 7).
Dieses sonographische Verfahren kombiniert das Doppler- und B-Bild. Damit können die im Hodenparenym liegenden Gefäße lokalisiert werden. In der Angiodynographie sind deutliche Farbpixel zu erkennen, die die Durchblutung des Hodenparenyms aufzeigen. Außerdem wird eine Durchflusskurve dargestellt.
Entscheidende Bedeutung kommt dieser Untersuchung in der Beurteilung einer möglichen Hodentorsion zu:
Wenn die Angiodynographie eindeutige, intratestikuläre Perfusionssignale zeigt, ist eine Hodentorsion eher unwahrscheinlich.
Die Angiodynographie ist in der Hand des erfahrenen Untersuchers eine wichtige, nichtinvasive diagnostische Untersuchung. Sie ist in der Lage, die Perfusionsverhältnisse des Hodens, Nebenhodens und die Gefäßversorgung des Skrotalinhalts zu messen.
Aber: Die Angiodynographie bietet keine 100%ige Sicherheit und kann im Zweifel die Hodenfreilegung nicht ersetzen, insbesondere im
Säuglings- bzw. KleinkindesalterSäuglings- bzw. KleinkindesalterBei Säuglingen und Kleinkindern mit noch schwacher Perfusion kommt die Methode an ihre Grenzen. Zu bedenken ist dabei, dass vor allem der venöse Abstrom durch die Torsion unterbrochen wird, der arterielle aber dabei noch erhalten sein kann und nachgewiesen wird, sodass falsch positive Befunde entstehen.
Die sogenannten Powerdopplergeräte bieten in dieser Hinsicht noch bessere Information als die Farbgradierten.
Zöller, G., Kugler, A., Ringert, R.-H.: "Falsch-positive Hodenperfusion bei Hodentorsion in der Power-Doppler-Sonographie", Urologe A, 30: 251-253, 2000
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Im Vergleich zur Sonographie bzw. Dopplersonographie ist es mit der Angiodynographie möglich, die Durchblutung des Hodens zu untersuchen. Im positiven Falle, d.h. Nachweis der Durchblutung kann eine Hodentorsion ausgeschlossen werden. Sind keine Farbpixel erkennbar, oder ist deren Nachweis nicht eindeutig (mitunter im Kindesalter!) muss eine Hodenfreilegung erfolgen (Abbildung 8).
Den Untersuchungsgang bei Verdacht auf Hodentorsion fasst der Algorithmus in der Abbildung zusammen (Abbildung 9).
Steht eine Angiodynographie nicht zur Verfügung bzw. findet sich keine Durchblutung bei dieser Untersuchung, so muss bei Verdacht auf Torsion eine Hodenfreilegung erfolgen. Damit kann die Diagnose gestellt und die Detorquierung durchgeführt werden. Diagnostik und Therapie erfolgen im gleichen Eingriff. Das zeitliche Limit von maximal 6 Stunden ist zu bedenken (Arzthaftpflicht!) Literatur:Bichler, K.-H.: "Das urologische Gutachten", Springer Berlin, 2004
Bichler, K.-H., Wechsel, H., Schmidt, A. M., Shen, R.: "Urologische Begutachtung im Arzthaftpflichtverfahren", Lehmanns Media Berlin, 2011
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Die Abbildung 10a zeigt beispielhaft die Hodentorsion nach Freilegung. Hier war innerhalb des Zeitfensters (maximal 6 Stunden) ausgehend von der Angiodynographie und fehlendem Durchblutungsnachweis operiert worden. Nach Detorquierung kam die Durchblutung wieder in Gang (Abbildung 10b). Das Organ konnte erhalten werden. Eine Orchidopexie ist dann notwendig.
Wenn es nicht zum Rückgang der Ischämiezeichen kommt, muss der Hoden entfernt werden. Im nachstehenden Beispiel fand sich bei der umgehend durchgeführten Freilegung und nicht sicher eruierbarem Zeitverlauf (> 12 Stunden) ein durch Torsion des Samenstrangs irreparabel geschädigter Hoden und Nebenhoden (Abbildung 11). Nach Detorquirung kam es nicht mehr zur Durchblutung des Organs (hämorrhagischer Infarkt), so dass eine Orchidektomie notwendig wurde.
Eine ähnliche Situation fand sich bei einem 14 Jahre alten Jungen, der am zweiten Tag nach Auftreten der akuten Hodenschmerzen zur Aufnahme und umgehend erfolgten Hodenfreilegung kam.
Bei Fehldiagnose der Hodentorsion, zumeist Nebenhodenentzündung bzw. bei unterlassener effizienter Abklärung (Angiodynographie bzw. Freilegung) kommt es zur Atrophie des Organs. Die Patienten suchen dann später den Urologen wegen eines verkleinerten, derben Hodens auf. Die daraufhin wegen Tumorverdacht durchgeführte Hodenfreilegung zeigt einen zumeist erheblich geschrumpften und destruierten (atrophischen) Hoden und Nebenhoden (Abbildung 13).
Histologisch finden sich im Hoden und Nebenhoden mehrzeitig entstandene, flächenhafte, ineinandergehende, hämorrhargisch durchsetzte Nekrosen s. Hintergrund (Abbildung HG1b).
Zu einem späteren Zeitpunkt (z.B. 4-6 Wochen) sollte eine Sicherheitsorchidopexie des Hodens der Gegenseite durchgeführt werden. Es besteht sonst in bis zu 30% die Gefahr einer Torsion auch der kontralateralen Seite.
Neben der akuten Hodentorsion muss die in Abständen auftretende Torsion („intermittent testicula torsion“) beachtet werden. Das Krankheitsbild ist definiert durch mehrfache Schmerzattacken von kurzer Dauer (< 2 Stunden) zumeist in einem Hoden. Im Allgemeinen von geringerer Schmerzintensität Literatur:Sellu, D. P., Lynn, J. A.: "Intermittent torsion of the testis", J Royal coll Surg Edin, 29, 107-108, 1984. Dabei finden sich Zeiträume von 3-7 Monaten, in denen es zu 2-4 Schmerzanfällen kommen kann. Am häufigsten sind Jungen im Alter von ca. 12 Jahren betroffen.
Die immer wieder auftretenden Schmerzen sind ein früher
Hinweis auf intermittierende HodentorsionenHinweis auf intermittierende HodentorsionenSellu und Lynn fanden Hodenschäden bzw. Atrophien bei 5 von 12 untersuchten Jungen mit intermittierenden Hodentorsionen [Sellu, Lynn, 1984]. Häufig bestehen bei den betroffenen Jungen charakteristische Abnormalitäten des Haltapparates z.B. mit transversaler Lage des Hodens ("Glockenschlegel"), Überlänge des Samenstranges, langes Mesorchium bei vom Hoden separierten Nebenhoden, verspäteter Descensus oder fehlendes Gubernakulum testis.
Die Behandlung besteht in der rechtzeitigen Orchidopexie der betroffenen Seite und der vorsorglichen Fixation des Hodens der kontralateralen. Es wird angenommen, dass die zunächst unauffällige Seite in 30 - 40% zukünftig ebenfalls durch Torsion bedroht ist [Johnston et al, 2005].
Sellu, D. P., Lynn, J. A.: "Intermittent torsion of the testis", J Royal coll Surg Edin, 29, 107-108, 1984
Johnston, B. I, Wiener, J. S.: "Intermittend testicular torsion", BJU int, 95 , 933-934, 2005
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Die einseitige Hodentorsion beeinträchtigt nach Visser und Anderson in 50% ernsthaft die spätere Spermatogenese Literatur:Visser, A. J., Heyns, C. F.: "Testicular function after torsion of the spermatic cord", BJU int, 92, 200-203, 2003
Anderson, J. B., Williamson, R. C. N.: "The fate of the human testis following unilateral torsion of the spermatic cord", BJU int, 58, 698-704, 1986. Subfertile Spermienzahlen werden in ca. 40% Literatur:Thomas, W. E. G. et al: "Testicular exocrine malfunction after torsion", Lancet, 2, 1357-1360, 1984
Krarup, T.: "The testes after torsion", BJU int, 50, 43-46, 1978. Die Beeinträchtigung der Spermatogenese hängt nach Thomas mit der Dauer der Torsion zusammen Literatur:Thomas, W. E. G. et al: "Testicular exocrine malfunction after torsion", Lancet, 2, 1357-1360, 1984.
Zu bedenken ist, dass der Einfluss des durch Torsion geschädigter bzw. nekrotisch umgewandelte Hoden auf das normale Hodengewebe (kontralaterales Organ) stärker ausgeprägt ist, je länger der veränderte Hoden belassen wird (s. Abbildung 13) Literatur:Visser, A.J. et al: "Testicular function after torsion of the spermatic cord", BJU 92, 200-203, 2003.